DAG

Current Exhibitions

Die Flucht in den
Augenblick

von Anne Kohlick, FAZ, 19.07.2013

Von wegen Sommerferien! Ein Rundgang durch die Frankfurter Galerien für Gegenwartskunst zeigt: Städelschüler bestehen neben einem Alten Meister wie Imi Knoebel, Animationsfilm neben Fotografie.

WWonach riecht der Sommer? In der Frankfurter Galerie hanfweihnacht ist es Zitrone. Es ist ein herber Duft, der von Heribert Friedls Wandobjekt ausgeht. Der weiße Ring, fünfzig Zentimeter misst er im Durchmesser, sieht unspektakulär aus. Seine Wirkung entfaltet er erst, wenn der Besucher an ihm reibt. Martin Hanf-Dressler und Felix Weihnacht haben ihre Frankfurter Galerie 2010 gegründet. Seit einem Jahr bespielt hanfweihnacht nun schon einen großen Raum in einem Hinterhof der Sachsenhausener Gartenstraße, unweit des Museumsufers. Zur Zeit ist dort die Gruppenausstellung „Chancen und Risiken“ zu sehen, ein Best-of der Künstler.

Der Berliner Maler und DJ Dag Przybilla, alias DAG, hat die Schau zusammengestellt. Von DAG selbst stammt eine achtzig mal achtzig Zentimeter große Leinwand: „Pazifis“ besteht aus winzigen Dreiecken, gemalt in Acryl und mit Brushmarker, die sich zu Pyramiden und Rauten zusammenfügen. Nur auf den zweiten Blick erkennt man die Technik: Das Gemälde erscheint zunächst wie ein digitales Musterbild. An derselben Wand beeindrucken verwaschen wirkende Fotos, die leise die Flüchtigkeit des Moments einfangen. Timo Klos, Jahrgang 1983, hat dafür Alltagsszenen so lange belichtet, wie sie eben dauern: ein Abendessen sechzig Minuten lang, eine heiße Dusche zwölf Minuten. Eine ganz andere visuelle Temperatur hat Tina Gillens kräftig rotes Gemälde „Century Plant“, das einer explodierenden Ananas ähnelt. Mit Lack in Türkis und Orange hat Martin Brüger einer Joghurtmaschine zu neuem Glanz verholfen. (Bis zum 9. August. Preise zwischen 600 und 7200 Euro.)

Klare Linien bei Olschewski & Behm

Auf der nördlichen Seite des Mains warten Olschewski & Behm mit kühlem Stahl und leuchtenden Farben auf. In ihrer Sommerausstellung präsentiert die Galerie abstrakte Werke von acht Künstlern. Der kryptische Titel „Recent Numbers 26487971“ der Arbeit des Isländers Tumi Magnússon enthält den Schlüssel zum Verständnis des Bilds. Die gelben Linien auf braunem Grund visualisieren den Weg der Finger beim Wählen einer Nummer auf der Telefontastatur: In diesem Fall ist es die 26487971. „Recent“ ist diese Nummer, weil Magnússon sie kürzlich in sein Adressbuch aufgenommen hat. Durch diesen Hintergrund gewinnt das minimalistische Werk eine erzählerische Ebene.

Klare Linien und rechte Winkel dominieren jedoch die gesamte Ausstellung bei Olschewski & Behm. Eine Geduldsübung ist die Arbeit von Ivar Valgardsson: Sein „rautt - gult, jafnt“, zu Deutsch „rot - gelb, glatt“, besteht aus Hunderten von Schichten Wandfarbe, die der Isländer auf eine quadratische MDF-Platte aufgetragen hat. (Bis zum 10.August. Preise zwischen 450 und 10.000 Euro.)

Michael Lange in der L.A. Galerie

Weiter den Main entlang, in der Innenstadt von Frankfurt, befindet sich in einem Obergeschoss die L.A. Galerie. Lothar Albrecht zeigt hier großformatige Fotografien von Michael Lange. Seine jüngste Serie „Wald. Landschaften der Erinnerung“ entstand von 2009 bis 2011 und umfasst etwa fünfzig Arbeiten. „Die meisten Fotos entstanden am frühen Morgen“, sagt Albrecht. Die Motive seien in ganz verschiedenen Gegenden entstanden, im Harz, in Norddeutschland oder auch im Odenwald. Wenn Lange einen Ort findet, der ihn inspiriert, markiert er ihn, um bei passendem Wetter zurückzukehren. Der Fotograf zeigt den Regen, der sich wie ein Schleier über alle Farben legt. (Bis 23. August. Preise zwischen 2700 und 10000 Euro.)

Imi Knoebel bei Barbara Grässlin

Nur einige hundert Meter weiter nördlich führt Barbara Grässlin ihre internationale Galerie. In einer musealen Lagerhalle in der Schäfergasse zeigt sie ihren Hauskünstler Imi Knoebel und seine neue Serie „Lueb“. Die abstrakten Arbeiten bestehen aus ovalen Aluminiumplatten, die an Blätter oder Käfer erinnern. Mal sind die „Luebs“ zitronengelb, mal rot, dann weiß. Der Titel bezieht sich auf Knoebels im März gestorbenen Freund, den Soziologen und Juristen Klaus Lueb. Die neuen Arbeiten - Grässlin präsentiert auch drei Werke aus der aktuellen „Triller“-Reihe - offenbaren die verspielte Seite des sonst eher minimalistischen Künstlers. Einen roten Punkt trägt bereits das farbenfrohe „Gartenbild 2“, entstanden 2013, verkauft für 160000 Euro. Kleinere Werke sind ab 25000 Euro zu haben. (Bis zum 27. Juli.)

„Merry Company“ bei Wilma Tolksdorf

Im Osten der Stadt befindet sich die Galerie von Wilma Tolksdorf. Im zweiten Obergeschoss eines ehemaligen Fabrikgebäudes stellt sie Arbeiten der Städelschüler Buck Ellison und Henrik Olai Kaarstein aus. Beide studieren bei Willem de Rooij. Bei ihm entwickelte sich das Interesse für die niederländische Malerei des Goldenen Zeitalters: „Merry Company“, so heißen ausgelassene Genreszenen, wie sie etwa Jan Steen schuf - und so lautet auch der Titel der Ausstellung. Was Ellison und Kaarstein mit ihren künstlerischen Wahlvorfahren des 17. Jahrhunderts verbindet, ist das Interesse fürs Alltägliche.

In seinen Fotos untersucht der 1987 in San Francisco geborene Ellison Medienbilder und Konsumverhalten. „Ethical Culture“ heißt ein Stillleben, das Tintenfische und Garnelen eisgekühlt an der Fischtheke des Berliner KaDeWe zeigt. Buck nahm das Bild kurz vor Ladenschluss auf - wenig später landeten die Meeresfrüchte im Müll. Der Norweger Kaarstein zeigt das Alltägliche nicht sichtbar auf der Oberfläche der Kunstwerke, sondern darunter. Für „Freedom to Drink, Whole Again“ hat er hinter einer bunt bemalten Schicht Krepppapier eine Kunstblume, Glasscherben und eine Gardinenstange verborgen. (Bis zum 27. Juli. Preise zwischen 1500 und 5500 Euro.)

Michel Klöfkorn bei Kai Middendorff

Zum Abschluss lohnt unbedingt ein Abstecher ans andere Ende der Stadt. In der Niddastraße, nahe beim Hauptbahnhof, lädt der Videokünstler Michel Klöfkorn in der Galerie von Kai Middendorff zum „Mississippi Barbecue“. Auch wenn der Titel der Schau rätselhaft bleibt, sind die Kurzfilme und Objekte des Frankfurters sehenswert. Im elf Minuten dauernden Film „N.N.“ aus dem Jahr 2009 erweckt Klöfkorn einen Taubenvergrämer mittels Stop-Motion-Technik zum Leben. Die spitzen Metallstäbe, die man von Mauervorsprüngen in Großstädten kennt, verwandeln sich in ameisenähnliche Wesen, die unaufhaltsam Glasscheiben zerlegen, Werbeplakate zerfressen und sogar bis nach Island vordringen. Die Internationalen Kurzfilmtage in Oberhausen zeichneten Klöfkorn 2009 für dieses technisch beeindruckende Werk aus.

Im Zentrum der Ausstellung steht „Flüssiges Papier“. Für den vierminütigen Animationsfilm hat Michel Klöfkorn in sechs Ausstellungskataloge Formen hineingeschnitten: eine Hand, deren Finger sich öffnen und wieder schließen, eine schnatternde Gans, die umherwatschelt. Von Seite zu Seite variiert er das jeweilige Motiv, das nur als Negativform, als Leerstelle existiert. Jede Seite hat er abfotografiert, 24Bilder pro Sekunde zeigt der Film. Der Arbeitsaufwand, der für „Flüssiges Papier“ nötig war, wird beim Blättern durch die ebenfalls ausgestellten Bücher spürbar. Sie sind eigenständige Kunstwerke des Scherenschnitts, die man gar nicht mehr aus der Hand legen möchte. (Bis zum 31. August. Preise zwischen 300 und 9000 Euro.)

Artikel auf FAZ Website lesen

Scroll to top