DAG

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Die Moderne lebt.

von Sebastian Preuss (2010)

Die Avantgarden sind immer präsent. Malewitschs Grundformen, die konstruktivistischen Tendenzen des 20. Jahrhunderts, die geometrischen Kompositionen vom Bauhaus bis zur Op Art, die Raster und die serielle Ästhetik des Industrie- und Computerzeitalters – all dies klingt in DAGs Malerei an.

Unwillkürlich denkt man an den britischen Kunsthistoriker Timothy J. Clark, der die klassische Moderne als unsere Antike bezeichnet hat – ein universaler Formen- und Ideenkanon, aus dem sich unsere Kultur nach all den Jahrzehnten immer noch beharrlich speist. Die ergraute, ehrwürdig gewordene Moderne rekurriert auf sich selbst und erneuert sich dadurch; sie produziert ihre eigenen Frischzellen. Das Thema ist hochaktuell, denn mit ganz unterschiedlichen Ansätzen bedienen sich heute zahllose Künstler in diesem Fundus, der zwar sein utopisches Potenzial von einst eingebüßt hat, nicht aber seinen Reiz als identifikatorisches Kultur- und Daseinsmodell.

Und auch das ist DAGs Werk ohne Zweifel: Kunst in der Epoche der unbegrenzten Reproduzierbarkeit. Die Handschrift scheint getilgt, manche Bilder wirken auf den ersten Blick, als seien sie digital erstellt. Doch geht DAG den Weg in die Gegenrichtung. Er thematisiert das Kopierbare, Wiederholbare, aber er stellt es nicht her. Was technisch aussieht, ist es nicht. Vertieft man sich in die Arbeiten, dann erkennt man schnell ihre individuelle Methodik und das Manuelle, das alle Werke prägt – auch wenn vorgefertigte Elemente und einfache Grundmodule eine entscheidende Rolle spielen. DAG benutzt Bögen von farbigen Klebepunkten, arbeitet mit Lineal und Schablonen und beschränkt sich auf die essentiellen geometrischen Einheiten: Kreis, Dreieck, Raute oder Parallelogramm. Daraus setzt er alles zusammen, zum Auftrag auf die weiß grundierte Leinwand nutzt er einfache Grafik-Filzstifte. Das mag banal klingen, ist aber ein höchst komplexer Vorgang. DAG entwickelt eine Dialektik, die er selbst gar nicht so konkret in Worte fassen mag: Einerseits löscht er alles Figürliche, Darstellerische, alles aufwendig Kunstvolle konsequent aus – um dann aber, gleichsam durch die Hintertür, doch zu malerischen Effekten zu gelangen, zu persönlichen Reflexen und vielen eigentümlichen Stellen, über die das Auge stolpert. Alles ist einzigartig, nichts wiederholbar.

DAGs Bilder wirken perfekt, aber sie sind es nicht. Die makellose Oberfläche, die man zuerst zu sehen glaubt, erweist sich als Illusion. „Es ist ein geregeltes Chaos“, sagt dazu der Künstler. „Da kommt vieles aus dem Bauch, aber es muss kontrolliert ablaufen.“ Er experimentiert mit dem Schein einer vermeintlich glatten oder technisch produzierten Oberfläche, die es aber in Wahrheit bei ihm nie gibt. Das Auge bleibt schnell hängen etwa in den schwarzweißen Rautenrastern, die mit Vasarély viel weniger zu tun haben, als man zunächst meint. Es gibt Lücken und Ungenauigkeiten in der Struktur, die in der Regel auf einer gewissenhaft konstruierten Lineatur beruht. Irritationen im Auftrag werden sichtbar, auch Unachtsamkeiten, die solch einer seriellen Arbeit nicht ausbleiben. „Fehler sind willkommen“, so DAGs Kommentar. „Es gibt aber gute und schlechte, hilfreiche und unnütze Fehler.“ So löst sich eine Komposition aus Dreieck-Reihen in ein konfuses Binnendreieck auf; das Bild implodiert, doch besteht auch das Chaos auschließlich aus Dreiecken – Unordnung in der Ordnung. Das meiste davon ist intuitiv und das Ergebnis langwierigen Ausprobierens. Mit strenger Konzeptkunst hat DAG nichts im Sinn.

Obwohl er nur selten zum Pinsel greift, sind seine Arbeiten eher Malerei als Zeichnung, Grafik, Design oder Ideen-Diagramm. Das „Malerische“ – dieser gern angezweifelte Begriff taugt in diesem durchaus – kommt besonders in großen, luftigen Kompositionen zur Wirkung. DAG hat hier mit schwarzem Filzstift Myriaden kleiner schwarzer Punkte aufgetragen, die in der Totalsicht vielfältige gegenständliche Assoziationen hervorrufen: Wolken, Schatten, Vulkanausbrüche, magnetische Felder und manches mehr entwickeln sich auf der Leinwand. Man denkt an Seurat und den Pointillismus, und DAG hat sich in der Tat mit dieser Malerbewegung auseinandergesetzt. Wie man Formen und Farben in ihre Grundmodule zerlegen und wieder zusammensetzen kann, das synthetische Verfahren aus den kleinsten Einheiten – das griff er auf und entwickelte es für sich weiter. DAGs Bilder sind minimalistisch und auf das Wesentliche reduziert. Oft sind sie von meditativer Stimmung durchdrungen, und die Punktlandschaften lassen durchaus eine romantische Aura aufscheinen. Das war nicht immer so bei ihm. Er begann mit einer eher rasanten, schnittigen, ornamentalen Malerei und tauchte damit in den Neunzigern ein in die damals explodierende Berliner Clubkultur. Mit Jim Avignon gab er, meist auf dem Höhepunkt der Party, Mal-Performances, bei denen in einer halben Stunde ganze Raum-Ausstattungen entstanden. Die beiden tourten durch alle großen Clubs in Deutschland, bald kamen Einladungen aus der ganzen Welt. Sie waren ein Aushängeschild einer innovativen, experimentellen Musik-Szene in Berlin, die überall bewundert und aufgegriffen wurde. Das Erlebnis Japans und dessen Ästhetik, aber auch die Auseinandersetzung mit den abstrakten Strömungen des 20. Jahrhunderts brachte ihn zu den Grundelementen der Geometrie und seinen einfachen Hilfsmitteln. „Ich kaufe für meine Kunst lieber im Baumarkt ein als im Künstlerbedarf“, lautet DAGs lapidarer Kommentar. Und wenn er er seine „fehlerhaften“ Rasterkompositionen auf alte T-Shirts aufträgt, die an Stelle der Leinwand auf den Rahmen gespannt werden, dann lässt sich das wohl auch als nostalgische Reminiszenz an die wilden Clubjahre mit den nicht minder exzessiven Gemälden verstehen. Doch vor allem zeigen DAGs Bilder: Die Moderne hat uns noch Einiges zu sagen.