Notwendige Wolken
Wenn Malerei über das Äußerliche der Dinge hinausgehen will, muss das Präsente verwischen und das Distinkte von der Undifferenziertheit verschluckt werden. Über eine solche Malerei wird man niemals sagen können: „Es handelt sich um“ oder „das zeigt das und jenes“. Denn diese Malerei gibt dem Ungewissen den Vorzug, schätzt das Handeln höher als das Sein. Im Zurücklassen der Dinge gewährt sie Zutritt zu einer Welt ohne Gegenstände. Sie hält den Konservenreihen kunsthistorischer Reverenzen und popistischem keep smiling, aus dem jede Einzigartigkeit verschwunden ist, vergnüglich Bildstörungen entgegen.
In der Ablehnung aller Kunstgriffe und Zuwendung zu größter Direktheit, ist DAG’s Malerei radikal. Sie ist aus der unendlichen Aktion entstanden, die Leere bloßer Leinwände, mal auf diskrete mal auf provokante Weise, mit vielen kleinen und großen Bewegungen zu füllen. Sie sind codiert als Linien, Kreise, Dreiecke, Spiralen, die mit einem ausgewählten Spektrum an Acrylfarben auf grundierte und geschliffene Leinwände, auf Holztafeln oder Wände gebracht werden. Nie wird das Auge hier ein Orange entdecken. Schicht um Schicht verdampft die Wirklichkeit zu Chiffren, werden überarbeitet und erneut aufgerissen, gestaffelt und erneut getilgt. Bis in den Vertiefungen und Höhen, Rissen und Kanten wandelbare Phänomene entstehen. Dort wo Verbergen und Entbergen Hand in Hand gehen und nach dem Vorbild des großen Prozesses der Existenz einander abwechseln.
Technische Sensation ist DAG zuwider. Die Alchemie seines Schaffens besteht weder in der Verfeinerung, der Raffinesse und Exaltiertheit seiner Mittel, noch in minimaler Askese. Zufälliges, Abwegiges und Nebensächliches ist prioritär. Immer wieder aufs Neue betritt er die Arena der unendlichen Aktion des künstlerischen Schaffensprozesses. Hier verbinden sich wiederholbare Rasterstrukturen, standardisierte Farbwerte oder der Einsatz von geometrischen Grundelementen mit aufgeschnappten Wörtern, dem Flüchtigen von Musik, der Qualität von zufälligen Phänomenen des Alltags. Nicht der logische Aussagewert ist das Ziel von DAG‘s Malerei – hier geht es um die Verkettung von Operationen zu einem sich ständig fortsetzenden Ereignis.
DAG’s Bilder entstehen in Reihen. Bei den neuesten Bildern staffeln sich Linien auf dunklem Hintergrund, durchkreuzen, überschneiden, überlagern sich, bilden Allianzen und Dissonanzen, locken das Sehen zu eigenen Erkundungen in ihren Lichtern und Schatten. Sie könnten dabei alles sein: ein bisschen Gegenstand, ein bisschen Ahnung, Geister, Nischen, Spuren, notwendige Wolken: „Subversion muss sein eigenes Chiaroscuro erzeugen“, schreibt Roland Barthes (The Pleasure of the Text, 1976).
Aber vielleicht zeigt der aufmerksame Gang durch das Maleratelier, dass es nach wie vor eine Sache des Sehens gibt, die sich nicht in wechselnden Spektakeln erschöpft. Denn was hier sichtbar wird, ist immer schon mehr als das, was wir wirklich sehen und was ein Kanon der Wahrnehmung zu sehen gestattet.