Chromatische Oligarchien
by Ulrich Schötker (1982),
translation by Sonja Commentz
„… ja, es war, als reize es auf zu immer neuen, gewaltsamen Anstrengungen, rasende Anläufe in Oktaven folgten ihm, die in Schreie ausklangen, und dann begann ein Aufschwellen, eine langsame, unaufhaltsame Steigerung, ein chromatisches Aufwärtsringen von wilder, unwiderstehlicher Sehnsucht, jäh unterbrochen durch plötzliche, erschreckende und aufstachelnde Pianissimi, die wie ein Weggleiten des Bodens unter den Füßen und wie ein Versinken in Begierde waren …“
— Thomas Mann, Buddenbrooks
Das Zitat aus Thomas Manns „Buddenbrooks“ zeigt, wie Literatur und Musik eine wechselvolle Beziehung eingehen können. Das Schreiben über Musik bekommt einen eigenen musikalischen Charakter und bleibt doch Literatur. Zwischen den verschiedenen ästhetischen Sparten Literatur, Kunst und Musik hat es in unserer Kultur immer eine mehr oder weniger starke Verbindung gegeben. Wechselseitige Beeinflussung tauchten verstärkt seit der Moderne auf – am deutlichsten ist dies an der Wagnerischen Forderung nach einem Gesamtkunstwerk und am Wirken des Expressionismus abzulesen.
Diese kunsthistorischen Referenzen mögen als gesichertes Wissen vorliegen, die Künste haben jedoch nie die Forderung nach Ganzheitlichkeit, die von ihnen erwartet wurde, eingelöst. Ansätze, die Grenzen zwischen den Künsten aufzulösen oder sich den Grenzen anzunähern, hat es indessen immer wieder gegeben. Eine Annäherung an diese Grenze zeigen die Malereien von DAG.
Seine Bilder bestehen aus wenig Malmaterial. Sie zeigen oft wenig Farbe auf monochromen, meist weißem Grund. Dabei vernachlässigt er das Material, wie man es seit Beginn der Malerei nicht mehr kennt. Dag malt aus! Er funktionalisiert die Farbe, indem er sie flächenhaft den dargestellten Formen zuordnet. Wie bei einem Synthesizer werden die Formelemente gesampelt, gepitcht und von störenden Farbgeräuschen bereinigt und zielbewusst eingesetzt. Einen noch größeren Stellenwert als das Farbmaterial besitzen eben die Formen. Die abgerundeten Formen organischen Ursprungs erinnern an Patterns oder Musterelemente. Sie fügen sich zusammen zu kleinen rhythmischen Verdichtungen, die ausschnitthaft dargestellt sind. Der Rapport bleibt jedoch aus, da er mit seinen Bildern keine industriellen Muster verfertigt.
Die Entwicklung der Musik vom Jazz der 60er Jahre bis zur elektronischen Musik der 90er Jahre zeigt, wie Elemente aus unserer Geräuschwelt wahrgenommen, isoliert und neu kombiniert werden. Seine Bilder zeigen eine ähnliche Arbeitshaltung. Durch seine Referenzen zu Plattencovern, Flyern, Lifestyle-Magazinen, belegt er ein ästhetisches Bewusstsein der 90er Jahre. DAG holt aus unserer Kulturlandschaft sein Formenrepertoire und stilisiert es. Er spielt ihr jedoch auch ein Formenrepertoire zu, indem er seine Bilder erneut in den Print-Medien, auf Plattencovern und in der Clublandschaft zeigt. Diese Rückkoppelung verhindert eine allgemeine, ideologisierte Zuweisung. Keine Politkunst, Kontext-Kunst oder Site-specificy ist auf den Bildern abzulesen! Dag hat ein Verständnis von Kunst entwickelt, welches sich nachvollziehbar auf ein Spiel von Formen und Farben stützt – ein Spiel von überlagerung und Durchbrechung, Oberfläche und Raum, Geschlossenheit und Auflösung – und einer linguistischen Verfahrensweise ähnelt.
Sehr deutlich ist an seinen Bildern abzulesen, dass die Frage der Dominanz in seinem Werk aufgelöst ist. So unterschiedlich und differenziert er seine Formen erstellt und anordnet, so sehr scheint er auf eine harmonische, idealtypische Syntax angewiesen zu sein. Seine Arbeiten stehen auch damit in einem engen Zusammenhang mit den Print-Medien. In seiner Malerei sind die Gestaltungsmittel allerdings nicht eingebunden in einer funktional-konzeptuellen ästhetik, sondern Selbstzweck.
Die sehr oberflächenhaft wirkenden Malereien zeigen mehr als nur Grundelemente. Sie zeigen deutlich eine kommunikative Struktur. Dag setzt seine Bildelemente in Beziehungen, die eine spannungsreiche Auseinandersetzung durch die Zuweisung der Elemente auf der Fläche bewirken. Dabei entstehen zum einen kompositorische Verdichtungen, denen man symbolhafte Bedeutungen zuweisen kann. Zum anderen gibt es Flächen, Hintergründe und lineare Verläufe, die diese Bedeutungen wieder auflösen, brechen oder ihnen eine neue Struktur entgegensetzen.
Dabei entsteht eine Visualisierung die ihre Position in den verschiedensten Bereichen der Modernen Kunst findet. Anklänge an die Op-Art sind ebenso zu finden wie an die monochrome Malerei, Minimalismus, Hard-Edge und Naive Malerei. Die einzelnen Komponenten haben hier ihr postmodernes Wertetief verlassen und begeben sich auf die Suche nach einem neuen Dialog. Die freie Zusammenstellung der einzelnen Referenzebenen entwickelt dabei eine Komplexität, die den Betrachter in bekannte Bildstimmungen hineinversetzt, sie aber nicht notwendig einfordert.
Das freie Spiel der Formen verlässt sich aber auf bekannte Bildrhythmen. Die gestalterischen Prinzipien sind so ausgewählt, dass keine Beliebigkeit vorliegt. Seine Bilder tragen sich durch einfache Aufbauten als kontrastreiche Kompositionen. So kann zum Beispiel eine überlagerung zweier Formen auf der Leinwand eine sehr klare Spannung erzeugen, die nicht durch ein weiteres syntaktisches Motiv wie Geschlossenheit, Durchbrechung etc. gestört wird. Aber auch diese treten auf, und zwar so klar und direkt, dass man seine Bilder am ehesten mit dem Pop-Diskurs in Verbindung setzen möchte. Warhols Vorliebe zu klaren Bildmotiven aus der Boulevardpresse, die mittlerweile zur Tradition der westlichen Kunstproduktion und -rezeption gehörende Verwendung einfacher Darstellungstechniken und die Idealisierung der Reduktion auf hinreichendes Motivmaterial gaben der Kunst der Moderne eine neue Richtung. DAG hat diese Prinzipien für seine Arbeit übernommen und stilistisch interpretiert. Dabei entstehet eine ganz eigentümliche Bildsprache, die sogar zu seinem Kennzeichen geworden ist. DAGs Bilder sind unverwechselbar mit seinem Namen – seinem Label – verwachsen.